12. Juli 2012, 18:08
ORF-Chef Wrabetz: Der ORF habe „keinen reichen Onkel“ wie Servus TV, das „von einem der reichsten Österreicher mit großem finanziellen Aufwand betrieben“ werde.
Strukturen und Prozesse werden sich auch ohne Neubau „radikal ändern“
Wien – ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz sieht den ORF in der „Mediennormalität Europas“ angekommen. „Wir sind nicht mehr der Monopolist in allen Bereichen, aber dennoch der klare Marktfüher in Fernsehen, Radio und Online, schreiben schwarze Zahlen und bieten die meistgenützte Information“, erklärt Wrabetz. Nicht nur diese „medienpolitische Realität“ und der allgemeine Kostendruck, sondern auch ein weiterer „idiotischer Umstand“ sind es, die den ORF vor besondere Herausforderungen stellen. Mit „idiotisch“ meint der ORF-Chef den Denkmalschutz. Wäre das ORF-Zentrum am Küniglberg nämlich nicht denkmalgeschützt, wäre die Standortentscheidung längst zugunsten von St. Marx gefallen, ist Wrabetz überzeugt.
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Der Denkmalschutz stelle hingegen für den Fall des Verkaufs eine Wertminderung des Küniglbergs dar. „Sonst wären wir doch schon längst weg. Dann würden wir das ORF-Zentrum verkaufen und mit dem Erlös den Neubau realisieren – da hätten wir nicht lange rechnen müssen. Es ist eine Zumutung, wenn ich denke, dass wir in Österreich Denkmalschutzregeln haben, die uns zwingen, ein sanierungsbedürftiges Zweckgebäude, das seine Lebenszeit längst erfüllt hat, mit riesigem Aufwand noch einmal herzurichten“, so Wrabetz. „Viele schöne Programmideen“ könnten „nicht realisiert werden, weil ein paar Architekturhistoriker meinen, man müsste das hier erhalten.“
Strukturen und Prozesse im ORF werden sich auch ohne Neubau „radikal ändern“
Auch wenn der ORF-General selbst immer noch der Meinung ist, dass es „für den ORF vorteilhafter ist, wenn er an einem neuen Standort zukunftssicher neu aufgestellt wird“, bereitet er einen Plan B vor. „Wenn sich der Neubau so nicht realisieren lässt, werden wir Alternativen finden, die den Gegebenheiten Rechnung tragen. Das ist keine Fahnenfrage.“ Wichtiger als die Frage des Standortes, seien die Fragen des Programms, „auf welchen Plattformen spielt sich die Fernseh- und Radio-Zukunft ab, der Zugang zu Smart-TV, und was das für Strukturen und Organisation des ORF bedeutet – denn die werden sich jedenfalls radikal ändern. Niemand soll glauben, wenn wir am jetzigen Standorten bleiben, bleiben auch die Strukturen und Prozesse der vergangenen Jahrzehnte“.
All diese Punkte will Wrabetz im Strategiekonzept ORF 2020 klären. Ein interner Prozess zur Erarbeitung des Strategiepapiers laufe bereits, im Oktober will die ORF-Geschäftsführung auch den Stiftungsrat bei einer sogenannten „Zukunftsklausur“ ins Boot holen. „Ich glaube, dass es wichtig ist, das Aufsichtsgremium in diese Überlegungen miteinzubeziehen“, so Wrabetz.
Finanzierungsmodell
„Existenziell ist auch die Frage des Finanzierungsmodells“, hier sei man gemeinsam mit den öffentlich-rechtlichen Sendern Deutschlands und der BBC in einer Arbeitsgruppe, um Zukunftskonzepte zu erarbeiten und internationale Erfahrungen – wie etwa mit der deutschen Haushaltsabgabe – zu evaluieren. Dass sich ein neues Finanzierungsmodell noch in dieser Legislaturperiode realisieren wird, glaubt der ORF-Chef aber nicht.
Was er aber vor der Nationalratswahl im Herbst nächsten Jahres festgesetzt wissen will, ist die Verlängerung der Refundierung für Gebührenbefreiung bis zur Etablierung eines neuen Finanzierungsmodells . Der ORF erhielt und erhält aus diesem Titel – zusätzlich zu den Einnahmen aus den Teilnehmerentgelten – von 2010 bis 2013 rund 160 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Bei der künftigen Größenordnung müsse man „sehen, was politisch machbar ist, aber wir werden sicher einen möglichst hohen Betrag des Entgehenden anstreben, denn ich bin fest entschlossen, auch die daran geknüpften Leistungen, vom Ausbau der Filmproduktion und ORF III über das Radio Symphonie Orchester bis zur Barrierefreiheit auf einem hohen Niveau zu halten“, erklärt Wrabetz.
Ob es noch in dieser Legislaturperiode, wie von Bundeskanzler Werner Faymann und Medien-Staatsekretär Josef Ostermayer angestrebt, zu einer Verkleinerung des ORF-Stiftungsrats kommt, ist für Wrabetz offen. „Ich glaube, dass hier zu recht mehr Wert auf die Qualität des Evaluierungsprozesses gelegt wird, als auf das Tempo.“
Der ORF hat „keinen reichen Onkel“
Grundsätzlich sieht ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz den öffentlich-rechtlichen Sender sehr gut aufgestellt. Man müsse sich aber stärker bewusst werden, „dass wir in der Mediennormalität Europas angekommen sind, in der es private österreichische Sender gibt, die hohe finanzielle Mittel zur Verfügung haben und diese auch einsetzen. Wie in ganz Europa stehen auch hinter Österreichs Privatsendern entweder große Hedgefonds oder sehr reiche Investoren. Der ORF ist jedenfalls einer der erfolgreichsten Öffentlich-Rechtlichen in Europa, was Reichweiten und Marktanteile betrifft, was die wirtschaftliche Situation und auch die Anerkennung der Objektivität und Unabhängigkeit betrifft, und wir werden diesen Weg auch in den kommenden Jahren fortsetzen.“
Die starke Konkurrenz bedeutet für den ORF, dass er künftig nicht mehr alle Sportrechte und alle Stars exklusiv haben wird, erläutert Wrabetz etwa mit Hinblick auf die Champions League, die demnächst auf Puls 4 läuft. „Und wir können auch nicht alle, die jemals bei ‚Dancing Stars‘ mitgetanzt haben, mit einer Hauptabendshow ausstatten“, so Wrabetz‘ Seitenhieb auf Frenkie Schinkels, der vom ORF zu Puls 4 wechselt und dort künftig die Champions League analysieren wird.
„Nicht mehr Monopolist in allen Bereichen“
Der ORF habe auch „keinen reichen Onkel“ wie Servus TV, das „von einem der reichsten Österreicher mit großem finanziellen Aufwand betrieben“ werde. Daher müsse man damit leben, dass die Konkurrenz dem ORF an der einen oder anderen Stelle Stars, Formate oder Marktanteile kostet oder auch Mitarbeiter abwirbt, weil die Konkurrenz in vielen Bereichen inzwischen besser zahle als der ORF. „Damit können wir umgehen und klar ist, wir wollen und müssen trotzdem in jedem Bereich die absolut überlegene Nummer eins sein. Aber wir sind eben nicht mehr der Monopolist in allen Bereichen.“
Den Eindruck, der ORF würde derzeit zusätzliches Geld vor allem für die Unterhaltung springen lassen, während die Information bei gleichen bzw. weniger finanziellen Mitteln lediglich mehr Aufgaben – Stichwort Mittagsmagazin – bekommt, teilt der ORF-Chef nicht. „Es ist nicht wahr, dass Geld einseitig in die Unterhaltung geht. Wir haben eine große Ausgewogenheit im Einsatz der Mittel.“ Tatsache sei aber auch, dass für den neuen Mittwochabend auf ORF eins, wo bisher die Champions League zu sehen war, neue Unterhaltung entwickelt werden muss, „weil wir natürlich auch im Bereich der Unterhaltung einen ganz wesentlichen Teil unseres Auftrags zu erfüllen haben, das tarieren wir sehr sorgfältig aus“.
Dass die Budgethoheit übers Programm nun beim Kaufmännischen Direktor Richard Grasl liegt, ist für Wrabetz keine Fehlkonstruktion. Fernsehdirektorin Kathrin Zechners Budgetwünsche für neues Programm sollen ja dem Vernehmen nach von knapp 80 Millionen auf fünf Millionen Euro eingedämpft worden sein. Wrabetz sieht dennoch alle auf einer ORF-Linie: „Aufgabe der Fernsehdirektorin ist es das beste Programm zu machen, und der Finanzdirektor hat die Aufgabe, dass der ORF ausgeglichen bilanziert.“
Kabel-Digitalisierung
Mögliches „Ungemach“ droht dem ORF unterdessen durch die kommende Kabel-Digitalisierung. „Das analoge Kabelpublikum ist neben der Terrestrik unser treuestes. Wir werden durch die Digitalisierung dieses Bereichs in den nächsten zwei bis drei Jahren 1,5 Prozent Marktanteil verlieren“, glaubt Wrabetz. Der ORF will auch wegen dieser neuen Herausforderung mit der im Herbst startenden „Programmreformkette“ gegensteuern, von der der ORF-General „deutlich mehr Zuspruch von den Jungen am Mittwochabend“ und stärkere Quoten rund um das neue Mittagsmagazin zu Mittag erwartet, die sich auch auf den Tagesverlauf niederschlagen sollen.
Ziel ist es, „über die nächsten Jahre stabil zu sein“, auch wenn das im kommenden Jahr wegen fehlender sportlicher Großereignisse „besonders schwierig“ werden könnte, so Wrabetz. „Insgesamt haben wir Digitalisierung bisher gut bewältigt, bis auf das Kabel ist sie in Österreich auch abgeschlossen. In Deutschland kommt das z.B. erst und wird den größeren Sendern noch einiges Kopfzerbrechen machen. Wir werden auch die letzte Digitalisierungs-‚Hürde‘ bewältigen und als sehr klarer Marktführer und auch im internationalen europäischen Vergleich in einer Top-Position in die neue Empfangs-Ära gehen. Wir sind auch da am richtigen Weg.“ (APA, 12.7.2012)
Quelle: derstandard.at
Zuletzt aktualisiert am 07.10.2012