Martin Putschögl, 23. September 2012, 12:03

Das "Flederhaus" eines österreichischen Fertighausherstellers stand erst beim Museumsquartier, nun auf dem ehemaligen Flugfeld, das schon bald zur Seestadt werden soll.

foto: putschögl

Das „Flederhaus“ eines österreichischen Fertighausherstellers stand erst beim Museumsquartier, nun auf dem ehemaligen Flugfeld, das schon bald zur Seestadt werden soll.

Der See ist schon da.

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Der See ist schon da.


Der Aushub des Sees wird für den Straßenbau genutzt.

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Der Aushub des Sees wird für den Straßenbau genutzt.

Wien 1, Neutorgasse 15: Hier residieren ...

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Wien 1, Neutorgasse 15: Hier residieren …

... Christine Spieß, Projektleiterin für die Stadt Wien, und ihre fünf Mitarbeiter (im Bild Nikolaus Summer).

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… Christine Spieß, Projektleiterin für die Stadt Wien, und ihre fünf Mitarbeiter (im Bild Nikolaus Summer).

Das Haus ist denkmalgeschützt, Teile des Büros ebenfalls.

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Das Haus ist denkmalgeschützt, Teile des Büros ebenfalls.

Detailpläne im Besprechungszimmer.

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Detailpläne im Besprechungszimmer.

Das 18-köpfige Team der "Wien 3420 Aspern Development AG" hat (im Bild v. li.: Kurt Hofstetter, Josef Lueger, Claudia Nutz, Katharina Salzgeber) in der vergangenen Woche ...

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Das 18-köpfige Team der „Wien 3420 Aspern Development AG“ hat (im Bild v. li.: Kurt Hofstetter, Josef Lueger, Claudia Nutz, Katharina Salzgeber) in der vergangenen Woche …

... das Plusenergiehaus "Aspern IQ" bezogen. Es ist das erste ...

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… das Plusenergiehaus „Aspern IQ“ bezogen. Es ist das erste …

... fertige Gebäude der Seestadt (siehe dazu auch Ansichtssache)

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… fertige Gebäude der Seestadt (siehe dazu auch Ansichtssache)

Der Bau der Seestadt Aspern ist auch eine organisatorische Großaufgabe. Die Koordinatoren sitzen im neuen „Aspern IQ“ und in der Wiener Innenstadt

Vom vierten Stock des „Flederhauses“ aus betrachtet wirkt die Fläche gar nicht so groß. Und doch sind es 240 Hektar bzw. sogar 340 imaginäre Fußballfelder, über die sich im Jahr 2028 die fertige „Seestadt Aspern“ erstrecken soll. Die wird dann so groß sein wie der 7. und der 8. Wiener Gemeindebezirk zusammen, aber sie wird nur einen kleinen Teil Transdanubiens ausmachen.

Die Donau ist es auch, die die beiden wesentlichen Planungszentren der als „Smart City“ konzipierten Seestadt trennt. Drüben in der Donaustadt befindet sich das neue Hauptquartier der Entwicklungsgesellschaft „Wien 3420 Aspern Development AG“ im soeben bezogenen Plusenergie-Gebäude „Aspern IQ“ – dem zumindest vorläufigen Herzstück der neuen Stadt vom Reißbrett.

Herüben, in der Wiener Innenstadt, Neutorgasse 15, ein denkmalgeschützter Gründerzeitbau im Eigentum der Stadt. Die noblen Räumlichkeiten im ersten Stock dienten jahrelang als Ausweichquartier für Magistratsabteilungen, die gerade Platznot hatten. Nun residiert hier Christine Spieß, die Projektkoordinatorin der Stadt Wien für die Seestadt Aspern.

Groß denken

„Groß zu denken ist entscheidend für die Entstehung echter Urbanität“, heißt es in einem Info-Büchlein über das größte Stadtentwicklungsprojekt, das Wien jemals vorhatte. Und groß gedacht wird hier tatsächlich; die immer wieder als „aufgebläht“ bezeichnete Wiener Stadtverwaltung drängt es dem sechsköpfigen Team, das wie als Ansporn zum „groß Denken“ kaum unter Platznot zu leiden hat, geradezu auf. Riesige Organigramme schmücken den Tisch im prächtigen holzgetäfelten Besprechungsraum. „Dinge koordinieren“ nennt Spieß auch gleich als Erstes, wenn man sie nach ihrem täglichen Arbeitsablauf fragt.

Und zu koordinieren gibt es hier tatsächlich vieles. Das gesamte Projekt „Seestadt“ ist zunächst in elf Phasen mit ebenso vielen „Phasenverantwortlichen“ eingeteilt. Diese sitzen auch im Kernteam, das einmal im Monat einen Jour fixe abhält.

Nichts darf entgehen, nichts soll entgehen

Die neun Phasen sind wiederum in 101 Arbeitspakete gegliedert, die sich allesamt aus sämtlichen Magistratsabteilungen (MA) der Stadt Wien rekrutieren. Denn schließlich wird hier Wien im Kleinen nochmals gebaut, mit denselben Fragen und Anforderungen, die sich überall sonst auch aufdrängen: Kanal, Müllabfuhr, Straßenbeleuchtung, soziale Infrastruktur, öffentlicher Verkehr – alles muss hier von Anfang an mitgedacht werden. 150 Namen stehen im großen „Strukturplan“; es ist ein kolossales Excel-File, keine Steintafel, weil: „Laufend ändert sich etwas“, sagt Spieß. Die Vielzahl an Einheiten mache es eben kompliziert.

Diese Struktur aufzubauen hat einige Zeit in Anspruch genommen. Ihre Räumlichkeiten in der Neutorgasse hat die „Projektleitung Seestadt Aspern“ vor einem Jahr bezogen, nach einem halben Jahr war der erste große Schritt hin zu einer tragfähigen Struktur getan. Das umfassende Programmhandbuch wurde aber erst vor kurzem fertiggestellt.

Der für den unbedarften Beobachter extrem aufgeblähte Apparat garantiere letztlich, „dass uns nichts entgeht“, sagt Spieß. Es ist ein Ausdruck, der beim Besuch von derStandard.at mehrmals fällt: Das Sich-nichts-entgehen-Lassen als kategorischer Imperativ der Seestadt-Projektleitung.

Gemeint ist das durchaus auch in Bezug auf neue Ideen, die sich als gewinnbringend erweisen könnten. Insofern bezeichnet Spieß es als eine der größten Herausforderungen, „Dinge, die schweben“, die also noch keinen fixen Projektverantwortlichen haben, einzubringen; „wo man erst einmal schauen muss, wer das machen kann und ob’s dafür eine Finanzierung gibt“.

„Civilization“ am Donaustädter Acker

Szenenwechsel über die Donau. Vom vierten Stock des „Flederhauses“ aus, das voraussichtlich noch bis 2015 die Seestadt-Baustelle zieren wird, sieht man schon die Baufelder für die Bauten der „Wiener Wohnbauinitiative“. Der künftige „Hannah-Arendt-Park“ hat sogar schon die richtige Niveauhöhe.

Rundherum muss noch mächtig aufgeschüttet werden, die Seestadt wird nämlich ein kaum wahrnehmbarer Kessel, vom Rand betrachtet jeweils ein paar Meter hin zum See abfallend. Diesen kann man ebenfalls schon begutachten, allerdings wirkt er vom Ambiente her noch mehr wie ein Schotterteich, und seine stufenförmig geschnittenen Uferlinien sehen aus wie mehrere Geländefelder im Computerspiel „Civilization“.

Die U-Bahn-Station „Seestadt“, in einem Jahr die Endstation der U2, ist auch schon fast fertig, deshalb hat man vom „Flederhaus“ nur einen eingeschränkten Blick auf das neue „Aspern IQ“, das als erstes Haus der Seestadt gilt. Unter den ersten Nutzern sind die 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wien 3420 AG. Eigentlich waren es nur wenige hundert Meter, die sie in der vergangenen Woche übersiedelnd bewältigen mussten, atmosphärisch aber war der Wechsel vom zweistöckigen 70er-Jahre-Bürogebäude ins fünfstöckige supermoderne Plusenergiehaus wie der in eine andere Welt.

Kurz davor wurde noch die Straße hin zum „Aspern IQ“ asphaltiert, es ist die erste Straße in der Seestadt. Folgerichtig heißt sie nun „Seestadtstraße“. Als erste Hausnummer wurde die 27 vergeben. Und hier hat nicht, wie in der Neutorgasse, jeder Mitarbeiter sein eigenes Büro, sondern hier teilen sich sogar die drei Vorstände ein Zimmer.

Mit und ohne Umwege

Das Arbeiten unterscheidet sich aber auch noch in zwei anderen Punkten ganz wesentlich von der „Projektleitung Seestadt Aspern“ in der Neutorgasse: Zum einen hat man hier keine denkmalgeschützten Kamine und Holzvertäfelungen um sich, sondern giftgrüne Wandverbauten, die nach Plastik aussehen, aber aus Holz sind. Und zum anderen hat man hier sozusagen das Operationsgebiet, die künftig größte Baustelle Österreichs, direkt vor der Nase.

Die Städtebauer und Planer, Techniker und Controller, Liegenschaftsverwalter und Marketingverantwortlichen des Unternehmens bilden deshalb auch das „Steuerungsteam“ vor Ort. Sie sind in die Projekte und Programme, die von Christine Spieß für die Stadt Wien koordiniert werden, eingebunden, arbeiten aber fallweise auch ohne den Umweg über die Neutorgasse mit den diversen Magistratsabteilungen zusammen.

Mit Kurt Hofstetter sitzt hier beispielsweise der Projektmanager für die Gestaltung der Grünflächen in der Seestadt. In erster Linie geht es dabei um den künftigen „Seepark“. Dieser wird nach dem Konzept von „Lavaland“ und „TH Treibhaus“ gestaltet, es sieht unter anderem eine Insellandschaft vor. Für den Bereich südlich der U2- und S-Bahn-Haltestelle im Norden der Seestadt, der erst in einigen Jahren entwickelt wird, arbeitet das Team ebenfalls bereits an einer Zwischennutzung, die dafür sorgen soll, dass das Areal für die nächsten Jahre nicht städtebaulich zum toten Winkel verkommt.

„Loslassen können“

Grundsätzlich sei hier eine „ständige Verhandlung darüber, wie Stadt funktioniert, im Gange“, sagt Claudia Nutz, die im Vorstand für Produktentwicklung, Personal und interne Organisation zuständig ist. Dabei müsse man sich vor Augen halten, „dass man bei so einem Projekt nicht alles selbst verantworten und beeinflussen kann“. Man müsse auch loslassen können, wenn sich eine Idee als nicht umsetzbar erweise.

Gleichzeitig kann sich beinahe jede einzelne Entscheidung auf den späteren Erfolg oder Misserfolg der Seestadt auswirken. Wo werden Carsharing-Parkplätze eingeplant? Wird man im See schwimmen können? (Eher schon, nach derzeitigem Stand). Wird das Sammelgaragen-System aufgehen und für die nötige Kundenfrequenz in der Einkaufsstraße sorgen? Um diese zu managen, wurde die „Aspern Seestadt Einkaufsstraßen GmbH“ gegründet, eine gemeinsame Tochter von Wien 3420 AG und „Spar European Shopping Centers“ (SES, siehe dazu auch Artikel).

Polizei im „Stadthaus“, Feuerwehr und …

Bis 2016 soll die erste Etappe, der gesamte südliche Teil der Seestadt, im Wesentlichen fertig gebaut sein, das sieht der Projektfahrplan im Groben vor. Ob er eingehalten werden kann, wird sich weisen. Schon jetzt ist jedenfalls klar, dass einige zeitliche Abläufe nicht ganz optimal sein werden. Dass die ersten Bewohner etwa frühestens ein Jahr nach Fertigstellung der U-Bahn-Anbindung kommen werden, wird den Wiener Linien eine geringe Auslastung auf den letzten drei U2-Stationen bescheren. Dass der zweite Teil des Bildungscampus, jener mit den Bundesschulen, erst 2016 fertig sein wird, ist aber vermutlich verschmerzbar, denn zumindest der Kindergarten und die Volksschule werden schon 2015 in Betrieb genommen, das verspricht Stadt-Wien-Projektleiterin Spieß felsenfest.

… Gott im Norden

 

Unterdessen werden auch schon Überlegungen gewälzt, was die zweite Etappe betrifft. Dort ist etwa auch ein kleines Baufeld für „sakrale Einrichtungen“ reserviert, der Projektleiterin schwebt dafür „ein geistliches Zentrum mit Veranstaltungssaal und Bibliothek“ vor.

Das ist jetzt zwar noch Zukunftsmusik, aber irgendwann in den kommenden Jahren wird es vermutlich auch dafür eine Projektgruppe in Christine Spieß‘ großangelegter Programmplanung geben. Die Projektleiterin, die ein- bis zweimal pro Woche ihr denkmalgeschütztes Büro in der Innenstadt verlässt und sich zum ehemaligen Flugfeld begibt, um an Meetings teilzunehmen und vor Ort nach dem Rechten zu sehen, hält es nämlich für undenkbar, dass der Nordteil – aus welchen Gründen auch immer – nicht gebaut wird. „Es gibt nur das gesamte Projekt. Der Süden geht nicht ohne den Norden, der Norden nicht ohne den Süden.“ (Martin Putschögl, derStandard.at, 21.9.2012)

UPDATE (24.9.): Das Projektleitungs-Team weist darauf hin, dass es sich derzeit nicht um neun, sondern um elf Projektphasen handelt, weitere drei für die Entwicklung des Nordteils sind in Vorbereitung. Ferner rekrutiert sich das „Kernteam“ aus 150 Personen nicht nur aus dem Wiener Magistrat, sondern auch aus BIG, Wohnfonds, Wirtschaftsagentur, Stadtwerken etc. Der Text wurde in diesem Sinne einer leichten Korrektur unterzogen. (M.P.)

Quelle: derstandard.at

Zuletzt aktualisiert am 07.10.2012